Vor einiger Zeit sagte mir ein Patient, den wir in extremis gerettet hatten: «Jeder, der am Rande des Grabes gestanden hat und gerettet wurde, macht sich Gedanken. Ich bin der Medizin und den Mitmenschen dankbar. Seither lebe ich bewusster, und was ich unternehme, wird mit viel Herzblut durchgezogen.» Noch etwas fügte er an: «Ich will zukünftig weniger konsumieren und kritisieren, sondern ich spüre einen leidenschaftlichen Willen, mich konstruktiv einzubringen, etwas Positives zu gestalten.»
Seither gebe ich auch mir bewusster Mühe, diesem Ansatz im Alltag nachzuleben und vor allem das Positive hervorzuheben. Als Zentralpräsident der Winterhilfe Schweiz habe ich die Möglichkeit, unkomplizierte individuelle Hilfe zu leisten, dort, wo die Armut versteckt ist. Als Sozialvorsteher bin ich an der Front bei der Aufnahme und der Betreuung von Schutzsuchenden und auch als erster Ansprechpartner für Mitmenschen in finanzieller Not. In dieser Funktion kann ich unserer wunderbaren Heimat etwas zurückgeben, was sie meiner Mutter 1943 als Flüchtlingskind aus dem Elsass geschenkt hat: Hoffnung, Sicherheit und Wärme. Vor einigen Tagen bin ich aus Usbekistan zurückgekehrt. Ich durfte dort einmal mehr Hilfe für herzkranke Kinder leisten: mit Operationen, Therapieempfehlungen und durch Unterstützung von jungen, motivierten einheimischen Ärztinnen und Ärzten. Auch dort hatte ich viele positive Erlebnisse.
Die Ansprache zum 1. August in Vitznau erlebte ich auch als äusserst positiv. Nicht ein Politiker, sondern der Plattenleger Benno Joller stand auf der Bühne. Seine Worte berührten: Er sprach über Toleranz, Respekt und Demut gegenüber dem Mitmenschen, aber auch gegenüber der Natur und traf dabei den Kern: das Rezept des humanen Zusammenlebens in einer Demokratie.
Nichts in unserem Leben und Zusammenleben ist – einmal gefügt – für immer beständig. Der Bestand muss fortwährend neu erkämpft werden. So ist es auch mit der Realisierung guter Vorsätze.
Thierry Carrel
Thierry Carrel ist Herzchirurg am Universitätsspital
Basel, Sozialvorsteher in
Vitznau und Präsident der Winterhilfe
Schweiz. Er amtet als Forscher und
Berater bei in- und ausländischen
Start-ups in medizinischer Technologie.
Ausserdem ist er langjähriger Chefarzt
der Universitätsklinik für Herz- und
Gefässchirurgie am Inselspital Bern.
Seine Freizeit verbringt er mit Musik
(Posaune in Blas- und Sinfonieorchestern,
Alphorn mit den Alphornfreunden
Vitznau), Rennvelofahren und Kochen.
​
Hinweis
Die externen Autorinnen und Autoren
sind in der Themenwahl frei.