Eine neue Methode der Herzentnahme für Transplantationen
hat zum Angriff gegen die Ärzte geführt. Die Anschuldigungen
sind unbegründet und zeugen von grossem Unwissen
der Kläger. Gastkommentar von Thierry Carrel
Die Transplantationsmedizin hat seit je immer wieder
die Gemüter erhitzt und für kontroverse Diskussionen
in der Bevölkerung gesorgt. Seit einigen
Jahren wird in der Schweiz eine neue Art der
Organentnahme für Lunge, Leber und Niere praktiziert,
die sogenannte DCD (donation after cardio-
circulatory death, Organentnahme nach Herz-
Kreislauf-Stillstand). Im Frühling 2023 wurde diese
Methode zum ersten Mal für eine Herzentnahme
angewendet. Seither wurden fünf Patienten mit
einem neuen Herzen versorgt, das einem Spender
erst nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand entnommen
worden war. Bei dieser Art der Organentnahme
kommt es zu einem irreversiblen Funktionsausfall
des Gehirns, wenn das Herz zu schlagen
aufgehört hat und das Gehirn, neben allen anderen
Organen, nicht mehr mit Blut versorgt wird.
Debatte um Todesfeststellung
Gegen die Ärzte, die diesen Eingriff durchgeführt
haben, haben zwei Organisationen eine Strafanzeige
eingereicht. Die Tatsache, dass die Urheber
dieser Strafanzeige die erfolgte Herzentnahme als
«aussergewöhnlichen Todesfall im Sinne eines grobfahrlässigen,
allenfalls sogar eventualvorsätzlichen
Behandlungsfehlers» bezeichnen, zeugt meines Erachtens
leider von grossem Unwissen der Kläger.
Bis anhin wurde die Organentnahme bei Menschen
nach einem gesicherten «Hirntod» durchgeführt.
Dies verlangte, dass die hirntote Person
bis zur Entnahme künstlich beatmet werden
musste. Das Herz schlug einfach weiter, der Mensch
schien – trotz nicht mehr funktionierendem Gehirn
– noch lebendig zu sein, dank den medizinischen
Massnahmen der Intensivstationen. Bei einer
Organentnahme nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand
sind andere Kriterien notwendig. Die wichtigsten
Punkte bei der Organentnahme nach Herz-
Kreislauf-Tod sind folgende: Von den behandelnden
Ärzten (und nicht von Transplantationsmedizinern)
wird in Anbetracht der aussichtslosen
Prognose beim sterbenskranken oder schwer verunfallten
Menschen ein Therapieabbruch empfohlen,
der zum Ableben des Patienten führt. Das bedeutet,
dass die kreislaufunterstützenden Massnahmen
und die Beatmung eingestellt und die betroffene
Person nicht mehr reanimiert wird, wenn ihr
Herz stillsteht. Die Folge davon ist ein Kreislaufstillstand,
das heisst, dass das Herz mechanisch betrachtet
kein Blut mehr auswirft.
Nach mindestens fünf Minuten Wartezeit wird
dies mittels Ultraschall nachgewiesen und die Todesbestätigung
durch zwei Fachärzte gemäss den
Kriterien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen
Wissenschaften (SAMW) festgehalten.Ab
diesem Zeitpunkt ist der Mensch verstorben. Das
Herz – wie übrigens auch andere Organe – wird
dann entnommen. Das Herz muss nun so rasch wie
möglich geschützt werden, da es sonst unwiderrufliche
Schäden aufweist. Dies geschieht mit einem
Perfusionssystem, ausserhalb des Körpers des Verstorbenen.
Ich vergleiche diese Situation in der
Öffentlichkeit gerne mit einer zu späten Reanimation
bei Herz-Kreislauf-Stillstand: Das Herz schlägt
wieder, aber das Gehirn ist schwerstens geschädigt
oder gar irreversibel ausgefallen.
Der Moraltheologe Roland Graf zweifelt daran,
dass bei dieser Methode das Gehirn und das Herz
bei der Entnahme unwiederbringlich ausgefallen
sind. Ich muss ihm aus naturwissenschaftlicher
Sicht widersprechen. Gehirnscans zeigen ein klares
Bild: Der Mensch kann nicht mehr denken, das
Gehirn wird sich nicht mehr erholen. Und auch das
Herz würde sich ohne mechanische Unterstützung
und ausführliche metabolische Korrektur der eingetretenen
Schäden auf keinen Fall je erholen.
Die Todesfeststellung sei unsicher, schreiben die
Gegner, was gegen das Transplantationsgesetz verstosse.
Die Vorwürfe beruhen auf Missverständnissen.
Die Todesfeststellung ist in meinen Augen
viel sicherer und auch einfacher als die Hirntodesdiagnostik,
da das Herz eben kein Blut mehr auswirft,
was nach einer sehr kurzen Zeitspanne (2
bis 3 Minuten) zu einem irreversiblen Hirnschaden
führt. Die Gegnerschaft behauptet, dass das
Herz nach dem Stillstand offensichtlich noch funktionsfähig
sei, wie auch das Gehirn. Ihre Begründung:
Sonst könnte das Herz ja nicht wieder anspringen
im Körper eines Empfängers. Das ist komplett
falsch: Das Herz wird nach einem aufwendigen
Verfahren künstlich wieder in Gang gesetzt.
Würde das nicht gemacht, wäre es nach kurzer Zeit
schon schwer geschädigt.
Therapieabbruch äusserst überlegt
Ich habe während meiner jahrzehntelangen Praxis
im Spital immer wieder erlebt, dass die Intensivmediziner,
die für die Therapie von schwer erkrankten
oder schwer verunfallten Menschen verantwortlich
sind, sich nur dann für einen Therapieabbruch
entscheiden, wenn die Situation ausweglos
ist. Ganz bestimmt treffen sie diese Entscheidung
nicht im Hinblick auf eine allfällig mögliche Organentnahme.
Meistens werden die Patienten über Tage
auf der Intensivstation behandelt. Der Entscheid für
einen Therapieabbruch beruht auf der sorgfältigen
Beobachtung des Verlaufs, manchmal nach tagelanger
intensivster Behandlung des Patienten. Das
Herz muss schnell entnommen und ausserhalb des
Körpers reanimiert werden, da es sonst nach einigen
Minuten bereits einen grossen Schaden erleidet, der
zum irreversiblen Funktionsausfall führt.
Die neue Art der Organentnahme (die sogenannte
DCD-Methode) ist nur dank einem neuen
Gerät namens «Organ Care System» (OCS) möglich,
welches das Herz ausserhalb des Körpers
mit Blut und Sauerstoff versorgt und wieder zum
Schlagen bringen kann. Dabei müssen die Schadstoffe,
die sich sehr schnell im stillstehenden Herzen
ansammeln, wieder im Herzmuskel neutralisiert
oder aus dem Herzmuskel entfernt werden.
Wir haben am Inselspital während über zehn Jahren
an dieser Entnahmemethode im Labor geforscht,
vor allem über optimale Bedingungen, um
das Herz «wieder in Gang zu bringen».
Interessant dabei ist auch die Tatsache, dass
das Herz dank der Perfusion ausserhalb des Körpers
länger funktionsfähig bleibt als bei einer gewöhnlichen
Entnahme. Dies ermöglicht, die Entnahme
weit weg vom Standort der anschliessenden
Transplantation vorzunehmen, und somit die
Berücksichtigung von Spendern, die sonst nicht infrage
kämen. Im Übrigen wird diese anerkannte
Methode seit längerer Zeit in den USA, in Grossbritannien
und Australien sowie in unseren Nachbarländern
erfolgreich angewandt und gibt den
lang wartenden schwer herzkranken Patienten eine
zusätzliche Hoffnung auf ein Überleben.
Thierry Carrel ist ehemaliger Direktor der Universitätsklinik
für Herz- und Gefässchirurgie am Inselspital Bern.