Pläne für eine Herzchirurgie am Kantonsspital St-Gallen: ein weiteres Beispiel für die verfehlte Gesundheitspolitik
Die Zusammenfassung in 2-3 Sätzen:
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Der Aufbau einer kleinen regionalen Herzchirurgie mit dem Zweck, dass die Kardiologie Katheterklappen-Eingriffe durchführen kann, ist weder fachlich noch ökonomisch zu begründen - auch für die Patientinnen und Patienten. Und für die Qualität der Behandlung ist eine solche Zerstückelung ein Unsinn.
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Wenn man so argumentiert wie am Kantonsspital St-Gallen, dann müsste jedes Katheterlabor der Kardiologie, das Katheterklappen anbieten möchte, eine eigene Herzchirurgie aufbauen, so Chur, Baden, Liestal, Fribourg, Solothurn, Winterthur usw. nur als Beispiel: ein Unding!
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Fazit: Ich würde mich nie in einer solchen Herzchirurgie operieren lassen und könnte auch nicht mit gutem Gewissen Patienten dorthin zuweisen.
«Diese Köfferli-Chirurgie bringt keine Vorteile»: Prominenter Schweizer Herzchirurg widerspricht St.Galler Kardiologe Hans Rickli
Regula Weik
tagblatt.ch, 2.März 2024
Kardiologe Hans Rickli äusserte sich Anfang Woche im Interview zu Nutzen und Vorteilen der geplanten Herzchirurgie am Kantonsspital St.Gallen. Das lockte den renommierten Schweizer Herzchirurgen Thierry Carrel aus der Reserve. Er kritisiert die Pläne auf Schärfste.
«Einmal mehr eine sinnlose Zerstückelung und Kantönli-Lösung»: Herzchirurg Thierry Carrel zu den St.Galler Herzchirurgie-Plänen. (Bild: Eveline Beerkircher (Vitznau, März 2023))
Hans Rickli, Chefarzt Kardiologie am Kantonsspital St.Gallen. (Bild: Michel Canonica)
Er hat das Interview mit Hans Rickli, Chefarzt Kardiologie am Kantonsspital St.Gallen, gelesen. Und da war für ihn klar: Er will reagieren. Er muss. Er teilt Ricklis Ausführungen und Einschätzungen nicht. Weder jene zur Notwendigkeit herzchirurgischer Eingriffe in St.Gallen, noch jene zum Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Thierry Carrel ist schweizweit bekannter und international renommierter Herzchirurg. Und er hält mit seiner Kritik nicht zurück.
«Es macht heute absolut keinen Sinn mehr, in der Schweiz an einem weiteren Standort herzchirurgische Eingriffe zu planen - weder ökonomisch noch fachlich. Es gibt keine einzige rationale Erklärung dafür», sagt Carrel. Das Kantonsspital St.Gallen wärme damit ein Projekt aus dem letzten Jahrhundert auf - bloss: Damals sei die Situation eine völlig andere gewesen. Da hätte man durchaus diskutieren können, eine Herzchirurgie aufzubauen. Aber nicht heute. Was hat sich seither verändert?
Herkömmliche Herzoperationen gehen zurück
«Vor 30, 35 Jahren befand sich die Herzchirurgie auf Expansionskurs. Es gab Wartezeiten für offene Herzeingriffe», sagt Carrel. Dies sei längst nicht mehr der Fall. Die Fallzahlen in der Herzchirurgie seien rückläufig. Heute ersetzten Katheterverfahren - ausgeführt von Kardiologen - vermehrt herkömmliche herzchirurgische Eingriffe, etwa bei der Behandlung verengter Herzkranzgefässe oder beim Ersatz der Aortenklappe.
Genau diesen Herzklappenersatz mittels Katheter nennt Kardiologe Rickli als Beispiel eines Eingriffs, der künftig am Kantonsspital St.Gallen möglich sein wird - nicht aber heute. Da eine Herzchirurgie vor Ort fehle. Dies steht im Widerspruch zu Carrels Aussage. Darauf angesprochen, antwortet der Herzchirurg: Heute sei dem so, es bestehe diese Auflage. Doch bei den Katheterklappen werde es sich ähnlich entwickeln wie bei den Ballondilatationen - die Herzchirurgie als Sicherheit im Seitenwagen werde wohl schon in wenigen Jahren überflüssig. Denn das würden zunehmend Standardeingriffe.
An Ricklis Argumentation ärgert Carrel vor allem eines: «Hier wird der Bedarf einer Herzchirurgie missbraucht, um der Kardiologie solche Katheterverfahren bei einem Klappenersatz zu ermöglichen.» Und weiter: «Dieses Katheterverfahren ist eine der bestbezahlten Herzbehandlungen. Es geht selbstverständlich um Prestige und Umsatz. Das verschweigt Herr Rickli.»
«Der Know-how-Aufbau dauert Jahre»
Die Herzchirurgie-Fälle nehmen ab, die Auflagen für Katheterverfahren dürften fallen: Wehrt sich Carrel gegen das St.Galler Vorhaben, da er den kleiner werdenden Herzchirurgie-Kuchen nicht noch stärker teilen mag? Carrel verneint. Er könne heute dieses Urteil abgeben, da er «komplett ohne Interessenkonflikte» sei.
Er sagt aber auch: Die Herzchirurgie werde sich zunehmend auf komplexe Behandlungen konzentrieren müssen; Operationen bei Infektionen nach Eingriffen an Herzklappen, Aortenrisse, chirurgische Behandlungen bei Herzversagen, Transplantationen, angeborene Herzfehler bei Kindern und Nacheingriffe bei Erwachsenen. «All diese speziellen Behandlungen», so Carrel, «werden nie oder höchst selten in St.Gallen gemacht und wenn, dann mit ungenügenden Fallzahlen».
Auf die Frage, ob er grundsätzlich Fallzahlen und Qualität herzchirurgischer Eingriffe in St.Gallen anzweifelt, antwortet Carrel: Er kenne nur die Zahl von 450 Herzpatienten, welche das Kantonsspital St.Gallen jedes Jahr ausserkantonal zur Behandlung überweise. Er gehe davon aus, dass rund die Hälfte davon Katheterklappen-Patienten sind. Es blieben somit 200 bis 250 «echte» Chirurgie-Fälle. Selbst wenn die Hälfte davon künftig in St.Gallen operiert werde, sei die Fallzahl tief. Sie werde nicht reichen, um rasch Routine zu gewinnen.
Und er fügt an: «Die Expertise muss nicht nur von den Chirurgen gewährleistet werden. Sie muss im ganzen Team aufgebaut werden.» Intensivpflege, Kardiotechniker, Anästhesisten. Bei einer geringen Zahl von Eingriffen dauere es «mehrere Jahre, bis das Know-how im ganzen Team vorhanden ist».
Carrel zweifelt an Allianz-Idee
St.Gallen plane keinen Alleingang, betont Chefarzt Rickli. Das Kantonsspital St.Gallen strebe eine partnerschaftliche Lösung gemeinsam mit dem Universitätsspital Zürich und dem Stadtspital Zürich Triemli an. Carrel ist skeptisch. Er zweifelt am Erfolg dieser Idee. Am Ende würden Patientinnen und Patienten hin und her geschoben, um die Statistik an einzelnen Standorten «kosmetisch» zu verbessern.
Und er hegt grundsätzliche Bedenken: «Dass dieselben Chirurgen im Unispital Zürich, im Triemli und dann auch noch in St.Gallen tätig und verantwortlich sind, ist ein Unding.» Diese «Köfferli-Chirurgie» bringe keine Vorteile - schon gar nicht für die Patientinnen und Patienten. Sie hätten ein Anrecht, ihren Chirurgen mehr als einmal pro Woche zu sehen.
Wie viele Herzchirurgien sind zu viele?
Carrel ist wie Rickli langjähriger Chefarzt. Über 25 Jahre war er am Inselspital, dem Berner Universitätsspital, tätig und leitete bis Ende 2020 die dortige Klinik für Herz- und Gefässchirurgie. Seit vergangenem Sommer arbeitet er als Herzchirurg am Unispital Basel. Dazwischen liegt ein Intermezzo am Unispital Zürich. Carrel war als stellvertretender Direktor an die Klinik für Herzchirurgie gerufen worden. Diese war nach einem turbulenten Chefarztabgang geschwächt. Bei der Einsetzung des heutigen Chefarztes Omer Dzemali vor gut einem Jahr gingen erneut die Wogen hoch; das Auswahlverfahren wurde von Kritikern als «Farce» bezeichnet.
Wie schätzt Carrel die Herzchirurgie des Unispitals Zürich heute ein? Dazu äussere er sich nicht. Hat Zürich einen Nutzen von der neuen Allianz mit St.Gallen? Er sehe kaum einen Vorteil für Zürich, vielmehr würden damit Fälle aus dem Unispital abgezogen und künftig in St.Gallen behandelt.
«Das Ganze führt zu einer weiteren sinnlosen Zerstückelung und Kantönli-Lösung», sagt Carrel. «Wer so entscheidet, lebt noch im vorherigen Jahrhundert.» Die Entwicklung zeige klar in eine andere Richtung. Sechs Herzchirurgien, vier an Universitätsspitälern und zwei an grossen Privatkliniken, genügten für die Schweiz problemlos. «Alles andere ist Kleinkrämerei.»